Κυριακή 15 Ιουνίου 2014

Das byzantinische Kaiserreich und das hellenistische Erbe.


 Hans-Georg Beck

Byzantinische und neugriechische Philogogie
Universität München

 Die Bilder und die Textformatierungen 
sind unsere Auswahl (Yauna),
 und nicht im Text enthalten.

            
Das byzantinische Jahtrtausend

Ein entscheidender Schritt zum Verständnis des byzantinischen Reiches und all seiner Lebensäußerungen besteht darin, sich über die Tatsache klar zu werden, 
daß Byzanz 
keine Vor- oder Frühgeschichte kennt 
in dem Sinn, in dem dieses Begriffspaar für das westliche, vor allem das germanische Mittelalter Verwendung findet. 

Wie immer Vor- und Frühgeschichte im einzelnen aussehen und wie weit der Streit über den Inhalt der Begriffe gehen mag, jedenfalls entbehrt Byzanz jener Geschichtsperiode, die keine schriftlichen Denkmäler kennt, die sich ihre Vorkommnisse und Strukturen aus dem Bereich der Sage und des Mythos holen muß, wo Nebel, Zauber, Götter und Heroen das Feld beherrschen und nicht immer leicht deutbare Gräberfelder und sonstige archäologische Spuren die einzige greifbare Hilfe darstellen. 

Eine solche Lage ist von bestürzender Vieldeutigkeit, hat aber auch etwas Verführerisches an sich, den Reiz des Unberührten, die Feme von ausgefahrenen Wegen und die Unbrauchbarkeit von Klischeevorstellungen. 

Aus dieser Urschicht erheben sich langsam Stämme und Völker, zunächst ohne erkennbares Selbstbewußtsein. Erst allmählich beginnen sie sich zu umreißen und Gestalt anzunehmen, und nur spät werden gesellschaftliche Formen erkennbar, eine Gliederung der Bevölkerung, Herrschaftsbildung, Rudimente eines Staates.

Alles dies fehlt in Byzanz. 

Es tritt in die Geschichte, fast unmerklich, 
als Spätstadium eines Griechentums und seiner Randvölker, 
das sich den Formen römischer Herrschaft unterworfen hat. 
Byzanz - dies bedeutet eine Geschichtsepoche, die gerade da anhebt, wo der Historiker der vorausgegangenen Zeit geneigt ist, als letzten Ausdruck seines Erstaunens und seiner Enttäuschung den Begriff Dekadenz von der Leine zu lassen.

Dekadenz ist für den Historiker nicht selten etwas wie ein dialektischer Gegenpol zu Vor- und Frühgeschichte.

Diese verspricht, jene versagt.
Für das Verständnis von Byzanz wurde der Begriff Dekadenz für lange Generationen das Schlüsselwort. 

Der Gelehrte, der im Zusammenhang mit Byzanz für die Lebensdauer des Begriffes gewöhnlich verantwortlich gemacht wird -   obwohl er nicht allein steht -, ist Edward Gibbon.

Vor seiner Zeit, d. h. vor der europäischen Aufklärung, wurde das Problem, das jeder „Nachfolgestaat“ und jede „Nachfolgekultur“ gegenüber dem klassischen Vorgänger darstellt, kaum gesehen.
Byzanz als lebendige Potenz blieb noch lange nach seinem Fall für sich allein von Gültigkeit und Bedeutung.

Das Auge war noch nicht geschult genug, um auf dem Bereich von Sprache und Literatur zwischen Klassisch, Spätantik und Byzantinisch zu unterscheiden, der Streit   um das politische Erbe des Staatswesens bestimmte noch immer einen Teil der europäischen Politik.

Das Studium der byzantinischen Welt war oft nichts anderes als Zufallsergebnis, die Frucht eines Handschriftenfundes oder des Kontakts mit griechischen Emigranten; und über sie allein gab es einen Weg zurück zur Antike.

Die Beschäftigung mit der orthodoxen Theologie aber stand zumeist im Dienst von Reformation und Gegenreformation, diejenige mit der Geschichte versuchte nicht selten die geistige Absicherung gegenüber der Türkengefahr. 

Die erste große Epoche der Byzantinistik, grundgelegt durch ein halbes Dutzend deutscher Humanisten und hochgeführt in Frankreich, war an Geschichte nur mäßig interessiert.

Sie widmete sich den Texteditionen und vor allem den sogenannten Hilfswissenschaften, denen eine sehr starke technische Bezogenheit eignet.

 Das   Nachdenken über Geschichte als solche setzt spät ein, merkwürdigerweise gerade in der Aufklärungszeit, die im allgemeinen, wie Christopher Dawson einmal in einem Vortrag über Gibbon ausgeführt hat, kaum als „historically minded age“ bezeichnet werden kann, vielmehr durch eine „antihistorical quality“ charakterisiert wird.
Wo immer diese Zeit aber dann doch Geschichte betrieb - Voltaire ist das sprechende Beispiel - ging es ihr nicht mehr um „Archivalien“, sondern um eine Entwicklungsgeschichte der Menschheit. Details sind für sie der „Wurm, der die Geschichte zerstört“.         

Insofern ist Gibbon eine Ausnahmeerscheinung in seiner Zeit, weil er neben aller philosophischen Ausrichtung ein großer Historiker alten Stils war, der mit seiner Faszination durch die Größe Roms den frühen italienischen Historikern der Renaissancezeit näher steht als seinen aufgeklärten Zeitgenossen.

Diese Begeisterung für die römische Größe aber verbaute ihm die Sicht für alles, was christlich, was mittelalterlich und was byzantinisch war. 

Hier konnte nur noch der Begriff „decline“ Verwendung finden.
Noch unsere   eigene Byzantinistik zieht sich immer wieder in eine Defensivstellung zurück und formuliert Apologien, die im Grunde gegen Gibbon gerichtet sind.   

Doch der Begriff  Dekadenz wird in Verbindung mit Byzanz unausrottbar   bleiben, und wir sollten uns damit abfinden, denn es eignet ihm eine Willkür, gegen die mit Logik nicht anzukommen ist.

Er paßt ja für jede Zeit und jede Lage.

Jede ältere Generation findet die nachfolgende meist dekadent, und wer immer sich eine „klassische Epoche“ zurechtstilisiert hat, wird der darauffolgenden wenig abzugewinnen wissen. Der Humanist alter Schule findet die Latinität eines Gregor von Tours „erschröcklich“, und es ist ihm von keiner Muse gegeben, sie als außerordentlich lebendiges Zwischenglied   auf dem Wege zu Racine und Bossuet zu erkennen; dabei könnte sich ja Dekadenz als die notwendige Vorstufe zu neuer Klassik entpuppen und damit an Bedeutung gewinnen.

Gefährlich wird es auch, wenn von Dekadenz unbesehen nur deshalb gesprochen wird, weil man von einer nachfolgenden Katastrophe weiß;
da 476 das Römische Reich angeblich ein für alle Male zusammengebrochen ist, subsumiert man alles Vorausgehende als glatten Abstieg in Richtung auf dieses fatale Datum.

Die Katastrophe muß zur Rechtfertigung dieser Verallgemeinerung herhalten.
Der letzte Kaiser Konstantinos Palaiologos.

Dies zum nicht weniger fatalen Datum 1453! 


Die Verwendung des Begriffes Dekadenz hängt also nicht selten von einer sehr unreflektierten, gelegentlich emotionalen, auf vorgefaßten Entwicklungsschemata beruhenden Einstellung ab, einer Meinung, die noch dazu sich dauernd mit der Theorie eines kontinuierlichen Fortschritts herumschlagen muß.

Und oft ist der Dekadenzbegriff nichts anderes als das Alibi für die Trägheit des Historikers, der sich ganz einfach mit Justinian nicht mehr befassen will,
weil ihm Caesar genügt, und der Prokop nicht mehr liest, 
weil ihm Thukydides besser gefällt 

- eine Trägheit, die sich nicht einmal Gedanken darüber macht, wie eine Dekadenz beschaffen sein muß, die tausend Jahre und mehr vorhält.

Das sieht nun ebenfalls nach defensiver Byzantinistik aus. 

Doch das wäre ein Mißverständnis. Ich denke nicht daran, die dekadenten Züge im Bild von Byzanz zu leugnen.

Ja, ich glaube, daß gerade sie es sind, die dazu einladen, Byzantinistik zu treiben.

 Dekadenz - endlich die contreverité! - ist außerordentlich ansprechend und besitzt einen hilflosen Charme.

Gerade weil sie hilflos ist, sollten sich die Historiker ihrer annehmen.

Caesar braucht sie nicht und Innozenz III. erst recht nicht.
Dekadenz versteht sich kaum aufs Überleben, und man sollte ihr dabei helfen. Man muß ihr helfen um der Nichtdekadenten willen, der Schöpferischen, deren Kreativität ohne den Nährboden der Dekadenz verkümmern würde, weil auch Kreativität gedüngt sein will.
Der Allmächtige Herr.
Fresko aus  St. Sophia in Konstantinopel.

Ohne dekadentes Byzanz wäre die italienische Renaissance auf halbem Wege stecken geblieben. 

Und ohne Kenntnis der Strukturen und Kategorien, die sich beim Studium der Dekadenz ergeben, bleibt der Historiker hilflos, wenn er den strukturellen Verlauf seiner heroischen Epochen bestimmen will, - sie enden ja doch in der Dekadenz!

Aber bleiben wir bei Byzanz, das, dekadent, wie es ist, nicht einmal eine Vor- und Frühgeschichte hat.

Dies ist nun keine contreverité mehr.

Was vorangeht, ist der Hellenismus und seine Fortsetzung in der griechisch-römischen Spätantike der ersten christlichen Jahrhunderte. 

Byzanz muß gesehen werden als fast bruchlose Fortsetzung dieser Welt. 

Gustav Droysen, der für den deutschen Sprachraum - der angelsächsische kennt eine andere Terminologie - den Begriff Hellenismus geprägt hat, verstand darunter den Zeitraum, der aus dem klassischen Griechentum zum Christentum hinüberführt, den Zeitraum der „Ineinsbildung“ des östlichen Volkstums mit dem abendländischen unter der Potenz der hellenischen Bildung.

Dieser Zeitraum, die letzten drei Jahrhunderte vor Christus, wird ohne allzu großen Bruch von der römischen Kaiserzeit weitergeführt, - eine Epoche, die vielleicht als Späthellenismus bezeichnet werden darf.
Alexander der Große.

Was charakterisiert den Hellenismus in seiner Ausgangslage? 

Die ungeheure Ausweitung der Welt seit den Eroberungszügen Alexanders des Großen
welche die Griechen zwischen fremde Völker und Kulturen warfen, 
konnte nur deshalb zu einer hellenistischen, d. h. im Grunde eben doch griechisch bestimmten Welt werden, 
weil der Grieche trotz dieses Aufeinanderpralls das Gefühl für seine Einmaligkeit nicht verlor und nicht aufgab.

 Er vergaß nie die Verpflichtung, 
das Bild des griechischen Menschen 
und seiner άρετή d. h. seiner moralischen Qualität, 
das vor ihm stand, zu erfüllen.

 Gewiß verlor die Scheidung zwischen Griechen und Barbaren an Schärfe; 
es bildete sich eine Art Kosmopolitismus heraus, aber das Bewußtsein des Griechen blieb lebendig, „als Grieche mehr zu sein“ (C. Schneider) und eine besondere Berufung zu haben.

 Dieses Mehr-sein und Mehr-sein-wollen hatte auch eine politische Komponente, aber hier fehlte die Begabung und das Glück war nicht hold.
Um so stärker warf sich dieser Trieb zur Selbsterhaltung in einer größeren Welt auf Kultur und Bildung.

Der Panhellenismus bleibt kaum eine politische Triebkraft, wohl aber eine kulturelle.

 Und wie pessimistisch es auch gemeint war, es galt doch:

 „Das einzige, was in Hellas erwähnenswert ist, ist Bildung und die Kunst der Rede“. 

Der Grieche schlechthin ist jetzt der gebildete Grieche und griechisches Selbstbewußtsein in dieser Zeit ist mit Vorzug Bildungsbewußtsein. Der politische Rahmen wird fast immer von außen aufgezwungen.

Meines Erachtens bleibt dies ein bestimmendes Element für die gesamte byzantinische Epoche. 
Griechische Phlilosophen in modernen Ikonenmalerei

Die wirkliche Permanenz der antiken Welt im byzantinischen Mittelalter ist die Permanenz des Bildungsanspruches.
Andere Ansprüche können sich immer nur zeitweise geltend machen.

 Es ist hier natürlich nicht der Ort, die Frage zu behandeln, warum der hellenistische Mensch, soweit er sich in den Quellen artikuliert, so war und nicht anders.

Was hier zählt, ist nur die Kontinuität. 

Sie erklärt sich nicht zuletzt aus der Tatsache, daß der Grieche im byzantinischen Reichsverband ebenso wenig einen rein griechisch bestimmten politischen Rahmen seines Handelns hatte wie in der Zeit des Hellenismus selbst.

Das byzantinische Reich umfaßte weite Gebiete, die nicht griechisch waren, wo zum Teil auch gar nicht griechisch gesprochen wurde. 

Das große „Nationalitätenproblem“ des Reiches nötigte die Griechen genau wie Jahrhunderte vorher zur Aufrechterhaltung dieses Selbstbewußtseins, als Griechen, kraft ihrer Kultur und kraft ihrer Bildung mehr zu sein.

Doch die Unterschiede sind nicht zu verkennen. 
Einer der bedeutendsten liegt meines Erachtens in dem Umstand, daß Byzanz die große wissenschaftliche Neugierde der hohen hellenistischen Zeit nicht mehr teilte, jene Lust an der kritischen Beobachtung von Natur und Mensch, der Gesetze der Erde und des Himmels, die das alexandrinische Zeitalter auszeichnet. Ganz gewiß kennt auch die byzantinische Geschichte nicht wenige technische Erfindungen, die nur auf geduldiger Neugierde beruhen können - Architektur, Schiffsbau, griechisches Feuer usw.

Doch diese Fortschritte vollziehen sich, wenn man so sagen darf, abseits vom Bildungsbetrieb; sie werden in den Kontobüchern byzantinischer Wissenschaft nicht als Aktivposten aufgeführt und sie bleiben anonym.

Und die hellenistische Kritik, die sich ebenso oft an Sachen wie an Personen entzündete, beschränkt sich in Byzanz oft auf die Personen, auf die „Konkurrenz“.

Hellenistisch bleibt dabei die enge Bindung an das Wort, nicht nur insofern es den Begriff formuliert, sondern ebenso stark an das Wort als künstlerisches Ausdrucksmittel: Wort als Bestandteil der Rede und Rede als in sich geschlossenes Kunstwerk. 

Und je mehr der wissenschaftliche und der sach-kritische Geist versiegt, desto mehr verselbständigen sich Wort und Rede als solche, ja desto stärker wird der Kampf mit dem Wort, die λογομαχία, und der Kampf mit den Kniffen der Rede.

Der Werdegang hat wohl recht verschiedene Ursachen. Eine davon dürfte folgende sein: Die materiellen Grundlagen der geistigen Kultur werden dünner.

Die Expansion des Griechentums im Osten, in den Provinzen, die einen hohen Produktionsstand aufweisen, kommt zum Stillstand

Die dort bisher kulturell überrollten Völker und Sprachen besinnen sich allmählich auf ihre eigene Kraft.
Die frühbyzantinische Zeit erlebt die Entstehung einer eigenen syrischen Literatur und auch die Anfänge einer koptischen. Armenisch und Iberisch fangen an, sich sprachlich und kulturell zu artikulieren.

Selbst in Rom verliert Griechisch als Dominante in der Bildungsschicht der Kaiserstadt im Lauf des 3. Jahrhunderts rasch an Bedeutung.


Mit der Verlagerung der Reichszentrale nach dem neugegründeten Konstantinopel beginnt Latein als Verwaltungssprache sogar seinen Druck auf das Griechische im eigenen Raum auszuüben und zu verstärken, so wie der römische Verwaltungsdienst die jungen Leute aus der Selbstzufriedenheit der hellenistischen Polis lockt.

Die politischen Schwierigkeiten mit dem neu konsolidierten Perserreich erzwingen weite Umwege für den Handel aus dem Osten und damit Verteuerung und ein Absinken des Wohlstandes jener Kreise, die als Mäzene für das Wohlergehen von Bildung und Wissenschaft gesorgt hatten.

Germanische Stämme haben längst vor dem Ende der Antike nicht nur die nördlichen Ränder des Imperiums, sondern selbst Griechenland überschwemmt und geplündert. 

Auf dem Balkan kann die Donaugrenze nur mit äußerster Anstrengung gehalten werden, und Italien ist seit dem 5. Jahrhundert ein Spielball der Barbaren. Die Welt, in der sich der Hellenismus frei entfalten konnte, wird kleiner und kleiner, die Austauschmöglichkeiten, von denen geistiges Leben zehrt, immer beschränkter, die materielle Basis, auf die der Gebildete der Spätantike schon auf Grund seines Urkonzepts von musischer Beschaulichkeit notwendig angewiesen war, bricht zusammen, und die vitalen Interessen des Überlebens werden bald wichtiger als die Pflege der Bildungsgüter. Die Schicht der Gebildeten schrumpft und die Resignation, der Urfeind der intellektuellen Neugierde, macht sich breit.

Paul Verlaine hat diese Stimmung auf kongeniale Weise eingefangen:

„Ich bin das Reich am Ende des Verfalls.
Ich sehe, wie die blonden Barbaren vorüberziehen,
während ich Akrosticha dichte, ohne Bezug
in einem Stil von Gold, über dem die müde Sonne tanzt.
Alles ist ausgetrunken, alles ist gegessen, nichts bleibt zu sagen, es sei denn ein Gedicht, etwas einfältige Verse, die man ins Feuer wirft.
Da ist noch ein Sklave, ein Streuner, der sich schon nicht mehr um uns kümmert, und da ist die Langeweile - ich weiß nicht woher - die uns bedrückt“.

Und da sind jene noch tiefer schürfenden Verse von Konstantinos Kavaphis, wo die Griechen auf der Agora die Ankunft der Barbaren erwarten, die dann noch vorüberziehen:

„Και τώρα τι θα γένουμε χωρίς βαρβάρους;
Οί δίνθρωποι αύτοι ήσαν μιά κάποια λύσις.

Was wird nun aus uns ohne die Barbaren?
Diese Menschen hätten eine Lösung abgeben können!“

Um eine lange Entwicklung so kurz wie möglich zu fassen: Bildungsbewußtsein verbindet sich in einer solchen Lage notwendig mit einem Exklusivitätsbewußtsein, zunächst nach außen, gegenüber der „barbarischen“ neuen Umwelt; aber mit Notwendigkeit auch bald nach Innen, gegenüber denen, die der Meinung waren, auch ohne klassische Bildung überleben zu können.

Und nun vergeudet man über Jahrhunderte ein gerüttelt Maß von Polemik in der Urteilsfindung darüber, wer „richtig“ gebildet ist, wer dazu gehört und wer nicht.

Ein weites Feld byzantinischer „Literatur“ wird zum Gebiet der Polemik. Der Humor bleibt dabei auf der Strecke, Ironie und Spott und nicht selten ein grotesker Grobianismus ersetzen die Argumente.

Viele zehren nicht mehr vom alten Hellenismus, sie zerren nur noch daran.

Man wird unschwer feststellen, daß diese besondere Art, sich mit einer Tradition auseinanderzusetzen, sich in ihr überhaupt noch zurechtzufinden, auch auf eine neue Art sich literarisch zu betätigen,

Übergriff: auf die christliche Theologie.

Als Erlösungslehre war das Christentum gewiß keine Religion, die sich mit Vorzug an die Gebildeten gewendet hätte.

Je mehr es aber seit Konstantin dem Großen zum guten Ton gehört, Christ zu sein, desto mehr rückte auch die christliche Lehre in den Gesichtskreis der Literaten, die sich nun ihrer auf ererbte Weise annahmen.

Hl. Konstantinos und seine Mutter Hl, Eleni
Ein Exklusivitätsanspruch des Gebildeten auf die Grundlehren des Christentums war unmöglich. Dafür entstand Theologie.

 Aber nicht um ihre Entstehung, nicht um die notwendige Ergänzung einer Glaubenslehre durch eine wissenschaftliche Theologie geht es hier, sondern um die Art und Weise, wie sie konzipiert wurde, wie die Gebildeten der alten Schule auch hier ihren Modus procedendi zur Geltung brachten - auf die Attitüde also. Und diese blieb in vielen Fällen rein hellenistisch, so wie der frühe Byzantiner Hellenismus noch bewältigen konnte.

Damit ist nun allerdings eine einzige Linie bis zu jenem Punkt ausgezogen, wo das Negative allein den Ton anzugeben scheint. Man sollte die positiven Folgen des Erbes nicht außeracht lassen. Dazu ein Wort zu den Repräsentanten der späthellenistischen Bildung, den Rhetoren und Sophisten.

 Der Sophist ist der unsterbliche Hellenist, der ungehindert und unangreifbar durch das byzantinische Millennium geht. 

Er ist es, der den Hellenismus in seiner Substanz nach Byzanz hinübergerettet hat und der ihn dort repräsentiert. 
In ihm konkretisiert sich das Bildungsbewußtsein, in dem sich der Byzantiner als Byzantiner fühlt, sich eben mehr dünkt als andere Menschen.

Die Abfälligkeit, mit der man über den Sophisten den Stab bricht, spricht für ihn, zumindest für die Kompliziertheit der Erscheinungswelt, die er verkörpert.
Er hat eine lange Geschichte und eine lange Reihe von Gegnern, die ihm zur Ehre gereichen, hinter sich. Sophist ist zunächst der Mann, der über ungewohntes Wissen und Können verfügt - und sich damit verdächtig macht.

Erst die alte Komödie macht aus ihm eine Witzfigur und ein Objekt ihrer Beschimpfung - herrlicher Weise mit Sokrates als dem Repräsentanten dieser verächtlichen Gattung!

In der Zeit Platons ist es dann schon wie z. T. noch in Byzanz so, daß die gebildeten Polemiker sich gegenseitig Sophisten schelten. Man versteht eben jetzt darunter Leute, die statt der Wahrheit den Erfolg und das Honorar suchen, die sich selbst anpreisen, unechtes Interesse an ihren lebensphilosophischen Themen vortäuschen und sich in Geschwätzigkeit erschöpfen.

Dies ist die eine Seite.

Das bedeutet zunächst nur, daß die Gelehrtenpolemik bereits voll erblüht ist und wuchert. Wollen wir zur Sache kommen, dann kann man wohl sagen, daß es für Byzanz Isokrates gewesen ist, der das gültige Bild von dem, was Sophistik sein kann, geschaffen hat.
Das alltägliche Leben, in dem der Mensch der Spätantike, der Mensch der Polis, steht und in dem er sich bewegt, kann nach Isokrates nicht durchwegs bestimmt und gemeistert werden durch die hohe Philosophie und ihren ebenso absoluten wie irrealen Wahrheitsanspruch.

Die unumstößlichen Wahrheiten mögen Sache der Philosophie sein und können es bleiben.

Doch im täglichen Leben müssen Entscheidungen fallen, die nicht auf die Wahrheitsfindung der Philosophen warten können. Fragen, die der Alltag stellt, müssen bewältigt werden mit fundierten, auf der Konvergenz von Wahrscheinlichkeiten gründenden Meinungen und Überzeugungen.

Diese Erfahrungen zu sammeln, und zwar so viele wie nur möglich, ihre Verknüpfung sichtbar zu machen und ihre Konvergenz darzustellen, ist Aufgabe einer Technik, die sich unter dem Gesichtspunkt der Ausbildung als rednerische Technik versteht, aber im Grunde sehr viel mehr ist.

Auf die Gefahr hin, einer unerlaubten Modernisierung geziehen zu werden, wage ich die Behauptung, daß es sich hier um die „Kommunikationswissenschaft“ der Spätantike handelt, und daß diese hier eine ihrer unsterblichen Eigenleistungen aufzuweisen hat, von der das halbe Mittelalter und noch große Perioden der neueren Zeit zehrten.

Man wird zu dieser Bewertung legitimerweise nur Stellung nehmen können, wenn man sich der Mühe unterzogen hat, sich einmal durch die „Technik“ durchzuarbeiten, weil man erst dann ermessen kann, wie viel an Psychologie, auch an Sozialpsychologie in diesen Lehrsätzen steckt, wie viel Menschenkenntnis hier verarbeitet ist und wieviele Zugänge zum „Du“ hier erschlossen werden.

Diese Technik stellt die Verbindung her zwischen den hohen Zielen der Theorie, gegen die sie nicht polemisiert und von der sie manches bezieht, zu den praktischen Bedürfnissen menschlichen Zusammenlebens, dem, was man in Byzanz gemeinhin die πράγματα, „die Geschäfte“, nennt.

Freilich hat dieses isokratische Ideal seit dem Verlust der politischen Freiheiten auch die politische Dimension im engeren Sinne des Wortes verloren.
Dieser Freiheitsverlust hatte aber auch zur Folge, daß sich die Mehrzahl der Gebildeten darauf kaprizierte, in den reinen Sphären der „Theoria“ zu verweilen, sich der Öffentlichkeit wo nur möglich zu versagen und in dieser Abstinenz eine conditio sine qua non für das geistige Leben zu erblicken.

Der Alltag war ohne Interesse, so wie sich ja auch die Moraltheologie kaum für ihn erwärmen konnte. Dann aber kann auf jene, eben auf die Sophisten-Rhetoren, die sich gerade dem Alltag nicht versagen wollen, aber auch auf den Politiker, der sich seiner Aufgabe verpflichtet fühlt, nur noch Verachtung träufeln. Sie träufelte um so reichlicher, als die Zahl derjenigen, die mit der isokratischen Zielsetzung Unfug trieben, allerdings nicht gerade gering gewesen zu sein scheint.

Noch einmal sei es unterstrichen:

auch hier handelt es sich um ein echt hellenistisches und späthellenistisches Erbe, das in Byzanz weiterlebte. 

Byzantinisches Mosaik
Was immer aber mit den Sophisten an Mängeln und Gefahren verbunden geblieben sein mag, sie habe doch der byzantinischen Kultur mit ihren Stempel aufgedrückt.

Man spricht z. B. gern von der Vermönchung der byzantinischen Kultur; manche wollen sie schon im 6. Jahrhundert wahrhaben.

Wie viel oder wie wenig es damit auf sich hat, wird noch zur Sprache kommen.
Doch um es vorwegzunehmen: Die Gefahr der Vermönchung, auch die einer Theokratisierung - wenn dieser Begriff überhaupt etwas besagt - und Klerikalisierung hat ihr stärkstes Gegengewicht eben in dieser Schicht von Literaten, die so stark sophistisch wirken.

Sie kennen ja nicht nur eine Technik, sondern auch Inhalte. Und mit diesen Inhalten säkularer und hellenistischer Bildung halten sie die Standards einer Lebensführung aufrecht, die von Anachorese und Askese in Frage gestellt werden. Und sie haben damit Erfolg. Sie haben es sogar verstanden, ihre Ideale Männern der Kirche und gelegentlich sogar Mönchen schmackhaft zu machen.

Die Bildung, die sie vermitteln, qualifiziert durchaus für einen Bischofsstuhl, besser noch als theologisches Wissen, und selbst vom heiligsten Mönch vermerkt der Biograph mit Genugtuung das Vorhandensein dieser Bildung - wenn sie vorhanden war.

Es ist in Byzanz nie gelungen, diese „humanistischen Studien“ in die Rolle einer bloßen Propädeutik zu einem systematischen Studium der Theologie zu zwängen oder sie gar durch eine wissenschaftliche Theologie aus dem Feld zu schlagen. „Amour des lettres et désir de Dieu

-           das ist für den Durchschnittsbyzantiner - abgesehen vom Anachoreten
-           keine Alternative. Dem Urbanen bleibt ein fast unangreifbarer Freiraum zugestanden.

Wenn er gefährdet ist, dann nur in Fällen, wo er sich allzu unbekümmert vom Bereich des Kirchlich-Geistlichen zu entfernen versucht.

Damit ist nun längst der Schritt getan von rhetorisch-sophistischer Technik zum Inhalt. Spielt der Inhalt neben dem von der Technik geförderten Formgefühl überhaupt noch eine Rolle?

Formales vom Inhaltlichen zu trennen ist in einer Spätkultur meist schwieriger als in Frühformen, in Byzanz erst recht, weil der Klassizismus, der als solcher immer stark formal bestimmt ist, in Byzanz ein lebensmächtiges Kontinuum seiner Geschichte darstellt.

Aber auch dieses Problem ist vorbyzantinisch, es reicht in die Kaiserzeit zurück und in den Anfängen sogar bis in das hellenistische Alexandreia. 

Unter Klassizismus sei hier zunächst einmal verstanden eine besonders intensive Art konservierender Pflege klassischer Bildungsgüter und die damit verbundene fast schulmäßige Nachahmung ihrer Muster, wobei zwar die eigentliche Klassik als höchste Norm gilt, tatsächlich jedoch in teilweise vereinfachter und mundgerecht gemachter Fassung.

Der Klassizismus der frühen hellenistischen Philologen betätigte sich zunächst einmal limitierend in der Auswahl des Lesenswerten, dessen was eine bestimmte Periode als für sie klassisch ansah. 

So entsteht schon sehr früh der Kanon der Tragiker, derjenige der klassischen Epik und eine Liste der lyrischen Dichter.
Die philologische Arbeit beschränkt sich bald ausschließlich auf sie, und alle möglichen Kostbarkeiten, die außerhalb des Kanons liegen, gehen allmählich verloren.
Diese Philologen treffen eine Auswahl für fast zwei Jahrtausende, und ihr Geschmack ist unbestreitbar.

Byzanz ist an der Auswahl nicht mehr beteiligt, und noch nicht beteiligt an der Öffnung zu neuen Ufern. Mit der Auswahl entsteht der Begriff des Klassikers, und mit ihm die Tatsache des Klassizismus, wenn auch zunächst zögernd.
Das Bestreben macht sich jedenfalls bemerkbar, es im eigenen Schaffen den großen Mustern gleichzutun.

Das bedeutet zunächst nicht etwa sklavische Nachahmung und Verzicht auf eigene Schöpfungen. Aber die neue Literatur entsteht in einer Diaspora.

Trotz ihres diskreten Charmes fehlt ihr der natürliche Boden, die heimische Polis und die άγορά, der Marktplatz, mit ihren Festen, ihren Mythen und ihrer Geschichte, die es zu zelebrieren oder in Frage zu stellen und die es politisch zu deuten gilt. Man orientiert sich an den großen Vorbildern der Heimat, die schon der Geschichte angehören.
Diese Vorbilder muß man zunächst studieren und erst in einem zweiten Arbeitsgang kann man aus ihrem Geist und ihrer Sprache heraus Eigenes schaffen, das den Stempel der Sehnsucht nach einer fast mythisch verklärten Vergangenheit trägt, obwohl das mythische „Ist“ kaum noch realisierbar ist.

Daß der Prozeß im Laufe der Jahrhunderte schwieriger wurde, ist verständlich. Die zeitliche Entfernung und damit die Verständnisschwierigkeit, auch sprachlich, stieg, und immer nachdrücklicher schiebt sich zwischen Vorbild und eigenes Schaffen die Philologie als unabdingbare Voraussetzung, denn sie allein ist in der Lage, den Zugang zum klassischen Original und Modell offen zu halten. Wiederum, um zusammenzufassen, steht der Hellenismus bei einem anscheinend spezifisch byzantinischen Problem Pate.

Das gilt für die Philologie, insofern sie sich an als klassisch anerkannten Modellen orientiert und sie zu interpretieren sucht, aber auch insofern das Problem der Sprache impliziert ist, die unter dieselbe Rubrik des Klassischen subsumiert wird, wie die eigentliche Literatur.

Die Ursprünge des Diglossie-Problems sind ebenfalls vorbyzantinisch.

Das Bildungsbewußtsein, mit dem sich der Grieche in einer neuen Welt behauptete und durchsetzte, ist gewiß nicht das einzige Erbe, das Byzanz aus dem Hellenismus übernommen hat. 

Wie schon erwähnt, waren die Griechen kaum fähig, ihre Einmaligkeit auch politisch zu konkretisieren, das heißt sich selbst auch gegenüber den großen nicht-griechischen Mächten politisch in Selbständigkeit zu behaupten.

Das politische Ideal des Panhellenismus wurde zwar immer wieder beschworen, aber nie verwirklicht, jedenfalls nicht im Sinne jenes demokratischen Gedankens, der im Hintergrund der panhellenischen Idee stand.

Was von den politischen Ideen des Hellenismus nach Byzanz gelangte und dort zum Teil realisiert wurde, ist ein sehr schwieriger, oft beschworener und ebenso oft formelhaft wiederholter Begriff von städtischer Freiheit, insofern als für die ganze frühbyzantinische Zeit die Polis neben der Reichsadministration ein Eigenleben zu führen vorgibt.

Das Reich selbst, das auf Byzanz überging, ist nicht griechischen Ursprungs

Freilich, die politischen Ideen, von denen es zum Teil getragen wurde, woher immer sie letztlich gekommen sein mögen, gingen zunächst durch den Schmelztiegel griechischen Denkens, bevor sie realisiert wurden.
Kaiseridee und Reichsidee entstammen selbst zwar nicht in letzter Folge, aber doch zunächst einem griechischen Philosophieren, das geboren ist aus der Verzweiflung an der Lebensfähigkeit der Demokratie der klassischen Zeit.

Die Ingredienzien und die Denkanstöße mögen zum Teil aus dem Orient stammen, aber die Ideen sind damit nicht einfach als orientalisch zu bezeichnen; ganz abgesehen davon, daß auch der Aufstieg Roms an der Entwicklung des Ideenfeldes entscheidend mitgewirkt hat.

Der klassische Grieche hatte durchaus ein Verhältnis zum monarchischen Gedanken. 
Der Leser Homers, - und welcher Gebildete war es nicht? - kannte sein „εις κοίρανος εστω“, „nur ein einziger soll Herrscher sein“, er kannte die Könige Agamemnon und Menelaos.

Pindar feiert die olympischen Siege sizilianischer Tyrannen und Aischylos preist Xerxes als den Genossen der Götter -  Kontrastbilder, die zunächst die politische Meinungsbildung nicht ernsthaft beeinflussen konnten.

Aber bald erlebte gerade die athenische Demokratie ihre ernsteste Krise, und diese endet mit der Herrschaft von dreißig Tyrannen. 
Gedanken über eine neue Staatsform konnten nicht mehr blasse Theorie bleiben.

Plato vor allem hat wie in einem Brennspiegel die divergierenden Reformideen zusammengefaßt.

Was sich schließlich herauskristallisiert, ist die Vorstellung von einem göttlichen Mann (θειος άνήρ), einem königlichen Herrscher, der das Gesetz des ethischen und damit politischen Handelns in sich trägt, weil die Götter ihn für seine Aufgabe begnadet haben.

 Aus der Frage nach der Verfassung wird die Frage nach einem Mann, einer Persönlichkeit.

Und die Erfahrungen mit dem Weltreich Alexanders liefern dazu ein Raumdenken, daß in den Begriffen οικουμένη und Orbis sich niederschlägt. 

Zum Mann gehört nicht die Polis sondern das Reich.
 Es handelt sich dabei - und dies verdient betont zu werden, um dem hellenistischen Denken über Staat nicht Unrecht zu tun - nur um einen Strang des Philosophierens neben anderen.

Polybios z. B. schlägt eine gemischte Verfassung vor und Cicero folgt ihm auf diesem Wege.
Aber die Zukunft gehörte der monarchischen Idee, nicht weil sie besser fundiert gewesen wäre, sondern weil Rom den Mann hervorbrachte, der sich ihrer folgenschwer zu bedienen verstand.

Und von Rom übernahm Byzanz diese Monarchie.

 Der Hellenismus findet seinen Weg nach Byzanz auch über den Umweg römischer Politik.

Dem Hellenismus, wie ihn Gustav Droysen definiert hat, ist das Christentum noch unbekannt.

Aber dem Späthellenismus, wie er hier verstanden wird, d. h. der Kaiserzeit, ist diese Religion nicht mehr fremd, und schon im 2. aber erst recht im 3. Jahrhundert handelt es sich beim Christentum nicht mehr um kleine Sekte im Untergrund, die in der zeitgenössischen Gesellschaft keine Spuren zu hinterlassen vermag.

Die Emanzipation ist nicht erst unter Galerius und Konstantin zu datieren.
Sie hat eine lange Vorgeschichte, welche durch die Verfolgungen nur jeweils auf Zeit unterbrochen wurde. Gewiß kann man nicht einfach formulieren, das Christentum, wie es in Byzanz verstanden und gepflegt wurde, sei Erbe dieses Späthellenismus, aber sicher ist, daß diese Epoche der jungen Religion bereits Züge auf gedrückt hat, die in Byzanz nur noch der weiteren Entwicklung bedurften, um voll zur Geltung zu kommen.

Geistesgeschichtlich entscheidend scheint es mir zu sein, daß bereits zu dieser Zeit ein geschichtsphilosophischer Zusammenhang zwischen Christentum und Geschichte des Imperium« hergestellt wurde, ausgehend von der Evangelienstelle:
„Exiit edictum a Caesare Augusto ut describeretur universus orbis“.
Diese „Volkszählung“ ist nur möglich in der Pax Augusta, in der die Völker unter einem einzigen Kaiser leben.

Daß es gelang, der Vielherrschaft ein Ende zu machen, dies ist die Tat des Augustus.
Ihren eigentlichen Sinn aber hat nach Origenes dieser Erfolg darin, daß damit die Verkündigung der evangelischen Botschaft an alle Völker, wie Christus sie befiehlt, überhaupt erst möglich wurde.

Gott hat dazu Augustus auserwählt und ihm sein Einigungswerk ermöglicht. Und so war es Ausdruck göttlicher Vorsehung, daß Christus unter Augustus geboren wurde. Meliton von Sardeis wird diesen Gedanken, wenn auch in allgemeinerer Form, auf nehmen: er macht Glück und Gedeihen des Imperiums abhängig von der Synchronisation mit der Ausbreitung des Christentums, die unter Augustus grundgelegt wurde.

Die Kontinuität in Richtung auf Byzanz wird dann Eusebios von Kaisareia herstellen, indem er die Aufhebung der Nationes innerhalb des Imperiums, die Tat des Augustus, in providentieller Weise mit der Aufhebung der Vielgötterei durch das Christentum in Verbindung bringt, die irdische Monarchie an die göttliche knüpft, und in Konstantin den Vollender dessen sieht, was Augustus begonnen - und im Grunde auch dessen, was mit Christi Geburt anhob.

Diese Gedankengänge stehen durchaus nicht isoliert in einer dünnen theologisch-christlichen Luft, sondern sind die griechisch-christliche Variante eines Nachdenkens über die Monarchie, das dem zeitgenössischen heidnischen Denken ebenfalls am Herzen lag.

Es handelt sich um eine christliche Annäherung an das so oft verschrieene Reich, die ihre Parallelen auch im täglichen Leben der Christen hat, diese Parallelen begleitet und ideologisch überwölbt.

 Dem geistesgeschichtlichen Nexus entsprechen handfeste Tatsachen. Man kann sie charakterisieren als das Eindringen des Christentums in die führenden Schichten der Gesellschaft, dies aber nicht ohne Berücksichtigung der christlichen Expansion in den niederen Schichten.

Die Verfolgungen konnten den Fortschritt auf die Dauer nicht aufhalten. Was an „lapsi“, an „Gefallenen“, während der Verfolgungen verlorenging, wurde durch den Andrang der Massen nach Beendigung des Ausnahmezustandes wieder wettgemacht. Und immer mehr waren es nicht nur Sklaven und kleine Leute, Menschen aus den östlichen Provinzen, die sich beim reichen Angebot an Erlösungslehren für das Christentum entschieden.

Senatoren, Offiziere, höhere Beamte und vor allem Personal des Kaiserhofes bekennen sich mehr und mehr zur neuen Religion. Dies führte dazu, daß die christlichen Vorsteher manches von ihrer bisherigen ablehnenden Haltung gegenüber dem Imperium aufgaben. So geriet das Verbot, den Soldatenberuf zu ergreifen, in Vergessenheit, ebenso aber das Verbot, ein staatliches Amt zu bekleiden, insofern dies mit Opferverpflichtungen und dem „Gebrauch des Schwertes“ verbunden war.

Die Betonung der Loyalität gegenüber dem Kaiser, des christlichen Gebets für die salus publica werden häufiger und dringlicher. Der Staat aber muß mit einer Massenbewegung fertig werden, die nach oben ausgreift.

Er zeigt sich entgegenkommend: man hat jedenfalls in nicht wenigen Fällen christliche Staatsbeamte von der Opferpflicht ausgenommen und auch den Offizieren nichts mehr in den Weg gelegt, wenn sie sich zum Christentum bekannten, - eine Toleranz, die der einfache Rekrut wohl nicht genoß.

 Es ist schließlich auch bezeichnend, daß selbst der heidnische Philosoph Kelsos die Christen auffordert, sich am staatlichen Leben zu beteiligen und obrigkeitliche Funktionen auszuüben.

Die Symbiose zwischen Christentum und Reich wird enger.
Das führt schließlich dazu, daß geraume Zeit vor Galerius und Konstantin der Kaiser Gallienus um 261 ein Toleranzedikt erläßt, das den Christen die freie Verfügung über ihre Kultgebäude und Friedhöfe einräumt und es verbietet, sie zu „belästigen“.

10 Jahre später, im Jahre 272, appelliert bereits die Kirche von Antiocheia in einem Streit um die Besetzung ihres Bischofsstuhls an Kaiser Aurelian mit der Bitte um sein Eingreifen.

Der Kaiser verschließt sich diesem Appell nicht, ja er entscheidet auf eine Weise, die eine gültige Organisation der Gesamtkirche voraussetzt.

Das Auftreten der Bischöfe verrät der Öffentlichkeit, daß eine neue herrschende Klasse im Kommen ist.

 Paul von Samosata, der Bischof, um den es in Antiocheia 272 ging, trägt die Allüren eines römischen Prokonsul, und Cyprian von Karthago bemerkt einmal, Kaiser Decius habe die Nachricht von der Insurrektion eines Usurpators gelassener hingenommen als die Wahl eines neuen Bischofs von Rom.

Wenn Hippolyt von Rom nach wie vor im Teufel die tragende Kraft des Reiches sieht und Rom mit der Hure Babylon gleichsetzt, so werden er und seinesgleichen doch allmählich in die Isolation gedrängt.

Überall entstehen neue Kirchen, um die Mengen aufnehmen zu können; eine Kaiserin beruft den großen Theologen Origenes an ihren Hof, Diokletians Frau Prisca ist Christin, ebenso seine Tochter Valeria. Diokletian selbst kämpft auf verlorenem Posten; denn das Christentum hat schon gewonnen - nicht zuletzt um den Preis einer Annäherung und Anpassung an die „Welt“, die offensichtlich in den höheren Schichten um nichts geringer war als in den kirchlichen Niederungen. Schon vor der Verfolgung Diokletians steht „byzantinisches Christentumante portas.

Hl. Demetrius
Neben der Anpassung an die sozialen und politischen Gegebenheiten im Reich steht eine innere organisatorische Entwicklung, auf der Byzanz weiter bauen wird.

 Was 325 in Nikaia festgeschrieben wurde, der Vorrang einzelner Bischofsstädte über ganze Provinzen und Provinzkomplexe, eben der nudeus der späteren Patriarchate ist schon vorher fait accompli.

Die Ähnlichkeiten mit der Provinzeinteilung und den Diözesen des Reiches lassen sich nicht leugnen. Die angenommene „Apostolizität“ dieser Stühle mag eine Rolle gespielt haben, ebenso die städtische Bedeutung, aber von einer aus praktischen Gründen sich aufdrängenden Anpassung an die zivilen Verwaltungseinheiten wird man kaum absehen können, auch wenn die Gewichtigkeit und das Zusammenspiel der Gründe im einzelnen verschieden gewesen sein wird.

Ebenso ist auch Theologie längst im Werden und zwar auch mit jenen Charakteristika, die später in das byzantinische Orthodoxie-Konzept münden. Freilich hat die vorbyzantinische Zeit noch sehr viel mehr Denkansätze gelten lassen, als es spätere Zeiten tun werden. Insofern besitzt die Theologie etwa des 2. und 3. Jahrhunderts eine Spannweite und damit eine Lebendigkeit, die später nicht wieder erreicht werden.

So beginnt die byzantinische Geschichte, fast möchte man sagen, vorprogrammiert, umgeben von einem Angebot festgefahrener Formen und Formeln, verankerter Anschauungen und aufrechterhaltener alter Ansprüche, herausgefordert allerdings auch durch neue Entwicklungen politischer und religiöser Art, die eine Synthese mit dem Überkommenen verlangten, die dann spezifisch byzantinisch ausfallen mußte.

Der Auseinandersetzung mit diesen Anregungen sind die folgenden Kapitel gewidmet.
 Doch bevor mit ihnen begonnen wird, sei wenigstens an einem Beispiel, das gewiß nicht willkürlich gewählt ist, sondern teilweise den Kern selbst trifft, der Prozeß der Auseinandersetzung und der Weg zu einer neuen Synthese dargelegt.

Es geht um die Frage, wie sich das griechische Selbstbewußtsein in Bildung und Kultur mit dem Einbruch des römischen Elements, das durch die Gründung Konstantinopels verkörpert wird, zu einem neuen Dritten zusammenfindet. 

Die Problematik wird sichtbar an den beiden Hellenisten des 4. Jahrhunderts, Themistios und Libanios
Themistios, um 317 geboren, stammt aus Paphlagonien, ist Sohn eines Landedelmanns mit literarischen Interessen, der seinen Sohn zunächst zuhause und dann im jungen Konstantinopel ausbilden läßt. ,

Hier eröffnet Themistios um 345 eine philosophische Schule, an der er besonders Aristoteles erklärt. 

Er wendet sich dann aber auch der Redekunst zu und gewinnt darüber Kontakt mit dem Hof.

 Im Jahre 355 ernennt ihn Kaiser Konstantios zum Senator;
er vertritt Hof und Senat auf Gesandtschaftsreisen, hält öffentliche Reden auf die Kaiser, begrüßt, wie jeder Heide, den Regierungsantritt Julians, wird aber durch dessen frühen Tod nicht aus der Bahn geworfen.
Noch der allerchristlichste Kaiser Theodosios macht ihn zum Prinzenerzieher und ernennt ihn sogar zum praefectus urbi von Konstantinopel.

Daneben nun Libanios.
Rhetorik ist es, worin er erzogen wird und Rhetorik bleibt zeit seines Lebens sein Beruf und seine Lieblingsbeschäftigung.
336 bis 340 studiert er in Athen, reist dann durch Griechenland und nach Konstantinopel, wo auch er eine kurze Lehrtätigkeit ausübt.
Angeblich von Neidern angeekelt begibt er sich mit seiner Schule nach Nikomedeia und bald in seine Heimatstadt Antiocheia, wo er als gefeierter Lehrer und Berater der Gemeinde bis zu seinem Tod bleibt.

Die beiden Männer lernen sich kennen und nennen sich Freunde.
Aber sie sehen sich selten.

Beide haben einen ähnlichen Ausgangspunkt, besuchen mehr oder weniger dieselben Schulen, sie gehören zum gleichen späthellenistischen Kulturkreis mit seinen besonderen Interessen und Ansprüchen, aber trotz der sogenannten Freundschaft bahnt sich bald Verstimmung und schließlich Bitterkeit an.

Es ist nicht untypisch, daß die ersten Differenzen, mit denen sich Themistios auseinanderzusetzen hat, sich um das Verhältnis zwischen Philosophie, Rhetorik und Sophistik bewegen.

In seinen frühen Reden bekämpft Themistios nicht nur Sophisterei, also das rednerische Kunststück und rednerische Künstelei, sondern auch jene Art des Philosophierens, die, wie weiter oben geschildert, sich in ihr Schneckenhaus zurückzieht und der Welt und der Politik eine radikale Absage erteilt. „Man darf“, so lautet sein Programm, „den Philosophen nicht erlauben, sich da zu verstecken, wo sie gerade wollen. Unser Unterricht muß öffentlich sein; er muß sich daran gewöhnen, mit der Menge des Volkes aber auch mit dem Tumult des Volkes sich konfrontieren zu lassen.“ Das Programm konnte als Teil der innerhellenistischen Auseinandersetzung verstanden werden.

Aber die Debatte wurde säuerlich, als Themistios Senator wurde und Zugang zu Hof bekam. Die Öffentlichkeit, die er für seine Philosophie beansprucht, wird damit zur staatlich-römischen Öffentlichkeit, die nicht identisch ist mit der Öffentlichkeit der griechischen Polis, dem verzweifelt festgehaltenen Ideal aller Hellenisten.

So wirft man ihm jetzt selbst Sophisterei vor, Ausflüchte eines Mannes, der sich der römischen Administration verschrieben und damit den Hellenismus verraten habe.

Hier liegt der Kern der Debatte!

Die Übertragung des Sitzes der kaiserlichen Administration nach Konstantinopel hat den Hellenisten den römischen Verwaltungsapparat derart auf den Leib gerückt, daß es ihnen unheimlich wurde.

Es ist Libanios, der die Tragweite dieser Translatio klar erkannt hat:
Konstantin der Große ist der Feind der hellenistischen Polis, und gerade durch die Gründung Konstantinopels hat er der Polis den Todesstoß versetzt. 

Auch Libanios gehört gelegentlich zu den Lobrednem Konstantinopels, vielleicht eine Pflichtleistung; aber es scheint, als sei er der Faszination dieser Neugründung gegenüber nicht ganz unempfindlich geblieben: Antiocheia sei eben doch ein bescheidener Hafen, von dem es auszufahren gelte, um größere Landemöglichkeiten anzusteuem.
Wo er aber keine enkomiastischen Verpflichtungen spürt, da wird der Vergleich zwischen Antiocheia und Konstantinopel zu einer bitteren Statistik des Verlorenen und des unerwünschten Gewinns; es geht um die Opposition gegen die Arroganz einer Metropole, die noch dazu ganz neue, unhellenische Bildungsziele anstrebt und über eine Anziehungskraft verfügt, die nur die Verarmung der hellenistischen Polis zur Folge haben kann.

Themistios aber tritt in den Dienst dieses kaiserlichen Konstantinopel und behauptet dabei, er bleibe ein Vertreter des Hellenismus. 

Aber dies gerade glaubt man ihm nicht.
Er wird als Mietling angegriffen, der bereit ist, überhaupt keiner Polis mehr anzugehören.
Seine Selbstverteidigung ist ein eindrucksvoller Anachronismus. Er sei doch auch Angehöriger einer Polis, denn er sei Bürger von Konstantinopel, das ebenfalls eine Polis sei; wenn er reise, vertrete er die Stadtkultur von Konstantinopel, er beziehe die „panes publici“ wie jeder andere Konstantinopolitaner auch.

Er gehöre auch nicht zur römischen Militia (στρατεύεσθαι), was hier die römische Beamtenlaufbahn bedeutet, denn er stehe nicht in der Karriere, er sei einfacher Polites.
Mit der Übernahme der Stadtpräfektur von Konstantinopel aber helfen all diese Argumente, wenn sie überhaupt jemand beeindruckt haben, nichts mehr.

Jetzt ist er auch für Libanios endgültig aus der Welt des Hellenismus ausgeschieden.

Aber immer noch sucht sich Themistios zu rechtfertigen.
Mit der Präfektur, mit der der Vorsitz im Senat verbunden war, sei er nun eben der erste Bürger der Polis Konstantinopel geworden, und dies sei durchaus mit den Traditionen der hellenistischen Stadt vereinbar. In der Begriffssprache seiner Zeit ausgedrückt:
seine Funktion sei immer noch ein πολιτεύεσθαι, ein sich um die Polis kümmern, und nicht ρωμαϊκή άρχή, eine römische Magistratur.

Es ist kaum anzunehmen, daß Themistios all dies besten Gewissens schreiben konnte, denn der Senat von Konstantinopel war längst keine städtische curia mehr, sondern eine Reichskörperschaft und die Präfektur war eine typisch römische höchste Verwaltungsstelle. Aber er stand in der Defensive, wagte es offenbar nicht, frei und frank für die neue Situation einzutreten und versuchte, die Gegner mit einem verzweifelten quid pro quo zu besänftigen.

Freilich, seine Gegner konnten sich sogar auf einen römischen Kaiser berufen, auf Julian, bei dem Themistios nicht auf Gegenliebe gestoßen war. Julian war hellenistisch gebildet wie nur einer, der Hellenismus war sein Ehrgeiz.
Aber wenn man ihn den Philosphen auf dem Tron genannt hat, dann mag dies für seine Person zutreffen, es bedeutete jedoch nicht, daß er die Philosophen in staatlichen Stellungen haben wollte.

Im Gegenteil:
er riet Themistios, sich in seine Schule zurückzuziehen und dort mit seinen Schülern für die Aufrechterhaltung der hellenistischen Tradition zu sorgen.

 Mit der politischen Aufgabe des Philosophen wollte er offensichtlich ohne Themistios oder einen Hellenisten zurecht kommen. Er stellt sich an die Spitze der Philosophen, denkt aber nicht daran, die Philosophen an die Spitze des Staates zu setzen.
Was im übrigen Libanios zu bemängeln hatte, war vermutlich gar nicht so sehr die römische Herrschaft als vielmehr das Darum und Daran, besonders die Bürokratisierung des Ostens und die Abwerbung der jungen Kräfte der Polis.

Er klagt immer wieder über die technische Ausbildung von Tachygraphen und Legisten, die hellenischer παιδεία (Bildung) völlig fremd sei, denn hinter dem, was hier gelehrt würde, stünde keine literarische Autorität, kein Homer und kein Platon, und es eröffne keine hellenische Perspektive; es entziehe sich der Diskussion - dem hellenistischen Spiel mit dem Wort. Aus den derart technisch Gebildeten aber rekrutiere sich nun die Verwaltung, und die jungen Leute kännten keinen besseren Ehrgeiz, als sich danach zu drängen, zum Nachteil einer fundierten hellenischen Bildung.

Der wahre Grieche reise nicht alle Augenblicke nach Rom, um dort den letzten Schliff in Jus und Verwaltungslehre zu erhalten, wie es die jungen Leute jetzt täten.

Er, Libanios, rühmt sich, eben nicht die Sprache der Römer zu sprechen, er versage sich dem Idiom der Macht.

Andererseits aber war die Stellung Kaiser Julians nicht die aller Kaiser.

 Gerade von seinem Onkel Konstantios kennen wir einen Brief, mit dem er den neuen Senator Themistios in den Senat einführt.

 Er qualifiziert ihn gerade als hellenistischen Weisen und zwar im spezifischen Konzept des Themistios als den Mann, der sein Wissen auch der Öffentlichkeit mitzuteilen bereit sei. Er ehre Themistios mit einer römischen Würde (άξίωμα ρωμαϊκόν), obwohl er Grieche sei, der Senat aber eine römische Institution.
...
Die Zukunft ließ noch ein paar Generationen auf sich warten; denn die Widerstände waren nicht gering, Libanios ist nur ein Exponent.
Das Reich ist zwar längst Tatsache, aber sich damit abzufinden, daß es nicht mehr genügte, über es zu philosophieren und seine Vor- und Nachteile aus der Distanz zu erörtern, brauchte Zeit. Für den Hellenisten bedeutete ja das Reich als Realität zunächst nicht viel mehr als einen Verband zahlreicher mehr oder weniger autonomer, jedenfalls in ihrer angeblichen Freiheit sich sonnender Städte.

Die Einheit war nicht durch eine Zentrale gegeben, sondern sozusagen nur durch eine gemeinsame Grenze den Barbaren gegenüber und durch den lockeren Konsens der Städte, diese Verteidigung einem Imperator zu überlassen. Dieser konnte und sollte Römer sein, denn als solcher verstand er sich ja auf das verachtete Waffenhandwerk!

Wenn sich die Symbiose von Reich und Hellenismus schließlich trotzdem durchsetzte, so sind dafür sehr unterschiedliche Faktoren verantwortlich zu machen. 

Gregor von Nazianz
Ich glaube, daß zunächst mit Nachdruck das Christentum und die Kirche genannt werden müssen.

Es ist ein christlicher Bischof, Gregor von Nazianz, der als erster die Neugründung Konstantinopels als neues und zweites Rom emphatisch begrüßt, eben weil es ein anderes Rom ist, unbelastet vom Makel der Gewaltherrschaft, der Tyrannei über Freie und des Heidentums und seiner Greuel. 

In diesem Konstantinopel residiert ein christlicher römischer Kaiser, Nachfolger jenes „Römers“ Konstantin, der der Kirche die Freiheit geschenkt hat.

 Es ist interessant festzustellen, daß es derselbe Gregor von Nazianz ist, der dem Hellenismusbegriff Kaiser Julians mit aller Schärfe entgegentritt.

 Hellene ist für Gregor kein religiöser Begriff, wie Julian impliziert, und έλληνίζειν bedeutet eben nicht „Heide sein“, sondern „griechisch sprechen“, mit der griechischen Sprache, der Muttersprache umgehen. 

Gregor lehnt damit die Unterstellung aller Feinde des Themistios ab, die Sprache und Weltanschauung nicht glauben trennen zu können.

Die Entwicklung des Begriffs Hellene konnte Gregor freilich nicht aufhalten, aber in der Sache behielt er Recht.

Die Bischöfe des 4. Jahrhunderts waren zumeist keine armen Fischer mehr, wie die Apostel, sondern hochgebildete Männer ihrer Zeit, dem Besitzstand nach nicht selten zu den großen Familien des Reichs gehörig.

Ihre Bildung haben sie sich dort erworben, wo sie auch Libanios und Themistios erworben hatten, aber sie sahen keinen Grund mehr, die pagane Basis von den stilistischen und ästhetischen Qualitäten der klassischen Literatur nicht zu trennen.

Diese Bischöfe orientieren sich mit Leidenschaft an Konstantinopel, nicht durchaus in dem Sinne, daß sie hier ihr innerkirchliches Zentrum sehen möchten, wohl aber, weil dort der christliche Kaiser residiert, dem sie ihre Freiheit und Freizügigkeit verdanken, der ihnen die Reichspost zur Verfügung stellt und der in der Lage ist, ihrem jeweiligen Verständnis von Orthodoxie ein politisches Exequatur zu erteilen.

Aus diesem Grunde, und weil die konservativen Hellenisten libanischer Prägung sich an den Polis-Gedanken klammem, hat eben dieser Gedanke bei ihnen bald keinen starken Rückhalt mehr.

Sie leben in einer größeren Welt, in der man mit den eigenen Organisationsformen sich mehr und mehr an die des Reichsregiments anschließt. Sie reisen sehr häufig kreuz und quer durch die Provinzen, tagen hier und debattieren dort.

Die Bischofsstadt kann ihren Gesichtskreis nicht mehr bestimmen.
Die Polis aber gibt ihnen nach, sie orientiert sich mehr an ihnen als an den städtischen Kurien, sie muß es tun.
Denn je ärmer sie wird, je mehr sie auf finanzielles Entgegenkommen seitens der Provinzgouvemeure und der Reichszentrale angewiesen ist, desto wichtiger werden die Bischöfe; kraft ihrer Sonderstellung in der Gesellschaft und nicht zuletzt kraft ihrer steigenden wirtschaftlichen Bedeutung rückten sie bald in die Stellung ernannter oder auch geborener Defensores civitatum auf, die mit den Gouverneuren wie mit ihresgleichen verkehren, ja vor denen die Gouverneure sich allmählich in acht nehmen müssen, weil sich etwas anbahnt, was unter Justinian kodifiziert wird, nämlich ein diskretionäres Aufsichtsrecht der Bischöfe über die Provinz- und Stadtverwaltung. Was hat daneben eine noch so feierliche Rede des Libanios zu bedeuten, vorausgesetzt daß sie nicht überhaupt hinter den Ereignissen als eine Art akademischer Sublimierung nachhinkt?

 Die Bevölkerung der Städte zieht es vor, sich auf die Bischöfe auszurichten, und mittelbar hat davon der Reichsgedanke seine Vorteile.

Ein weiterer Faktor: Wie immer es mit dem Zuzug aus Italien bei Gründung Konstantinopels bestellt gewesen sein mag, die großen Massen der Bevölkerung, die sich hier am Bosporus ansammelten, kamen in erster Linie aus dem Osten;

Konstantinopel wurde sehr rasch eine griechische Stadt,
 in der von Anfang an das lateinische Element 
aller Wahrscheinlichkeit nach auf Hof und Bürokratie beschränkt blieb. 

Und diese Stadt trat um die Mitte des 5. Jahrhunderts das Erbe Altroms noch nachdrücklicher an, weil Rom am Tiber eine Beute der Goten und Vandalen geworden war.
Man hat neuerdings die Reaktion des Ostens auf diese Ereignisse säuberlich gesammelt.
Als Eindruck bleibt, daß man hier, im Gegensatz zum Westen, kein apokalyptisches Ereignis konstatieren zu müssen glaubte. Bedauern war vorhanden, aber fast möchte man glauben, daß die Erleichterung größer war.
Mahnungen, Warnungen und Spott der reaktionär-heidnischen Kreise gegenüber dem „unrömischen“ „Neu-Rom“ blieben fortan aus, Konstantinopel wurde seiner selbst sicherer.

Auch die Hauptbeschwerde der Hellenisten, die römische Bürokratie und das römische Recht, beide in lateinischem Gewände, beide den Nachwuchs der hellenistischen Städte abwerbend, verlor allmählich an Boden. 

Die sogenannte „UniversitätTheodosios’ II. hatte immer noch zwei Lehrstühle für römisches Recht und die Unterrichtssprache war sicher Lateinisch.

 Außerdem gab es zehn Lehrstellen für lateinische Grammatik.

Doch daneben stehen zehn andere für griechische Grammatik, offensichtlich eine „apertura“ in Richtung auf griechische Kultur an einer Schule, die doch in erster Linie für den Beamten- und Richtemachwuchs gedacht war.

Bei der Rhetorik ist das Verhältnis zu Gunsten der griechischen Redekunst schon 3:5 und der philosophische Lehrstuhl dürfte ohnedies für die griechische Seite zu buchen sein.

Und da, wo die Bedeutung der lateinischen Verwaltungssprache am peinlichsten empfunden wurde, im Alltag des Kontakts mit den Behörden, vor Gericht usw. macht sich ebenfalls der Prozeß der Regräzisierung bemerkbar, auch wenn die kaiserliche Gesetzgebung nachhinkte. Und selbst die Kaiser, die von Haus aus kein Griechisch verstanden, räumen in Kürze das Feld.

 Der Boden war bereitet für ein sich noch römisch nennendes, aber hellenisiertes Reichsbewußtsein.

Das Reich ist „byzantinisch“ geworden, weil die Graecia capta wieder einmal auf kulturellem Boden gesiegt hatte und die ursprünglich so fremde Reichsgewalt und Reichsverfassung als ihr eigen betrachten konnte, als einen Rahmen, wo man Karriere machen und sich profilieren konnte, ohne weiterhin das Feld den Lateinern überlassen zu müssen.

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